Lektüreempfehlung: Spiel im Morgengrauen, Arthur Schnitzler

Die Biographie Arthur Schnitzlers ist von vielen Spannungen geprägt. Die Medizinkarriere des Vaters fortführend, suchte Schnitzler immer den Ausgleich in der Literatur. In seinen Werken setzte er sich kritisch mit den sozialen Strukturen der damaligen Gesellschaft auseinander. Für den Autor selbst war es nicht einfach seinen Platz in dieser zu finden.

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Arthur Schnitzler
In seinen Tagebüchern beschreibt er sich selbst als „Jude, Österreicher, Deutscher“. Jude steht stellvertretend für seine Familie und Religion, obwohl Schnitzler sowie seine Familie diese nicht praktizierten. Österreicher entspricht seiner Nationalität und Staatszugehörigkeit und als Deutscher fühlte er sich durch seine Sprache und Kultur. Somit stellt Arthur Schnitzler diese drei Identifikationsebenen gleich, auch wenn diese im gesellschaftlichen Kontext oft in Gegensätzen zueinander standen.

Der zeitliche und geographische Rahmen von Schnitzlers Werken ist die sogenannte k. u. k. (kaiserliche und königliche) Doppelmonarchie Österreich-Ungarns, gegründet mit dem „Ausgleich“ 1867 und aufgelöst 1918 durch den Austritt Ungarns. Nicht nur das Leben des Autors, sondern auch die Hauptstadt Wien galt vor allem um die Jahrhundertwende als „Stadt der Kontraste“. Die Stabilität des traditionellen Verwaltungs- und Regierungssystems geriet unter den zahlreichen neuen Herausforderungen wie z.B. dem Nationalitätenproblem, dem wachsenden Modernisierungsbedarf und dem steigenden Antisemitismus ins Wanken. Dennoch wehrte man sich gegen die benötigten Reformen und hielt zwanghaft an der veraltenden Struktur, die auf den drei Säulen der Macht Militär, Adel und Kirche beruhte, fest. So sehr, wie Österreich-Ungarn nach außen den glänzenden Schein aufrechterhielt, so sehr war der Staat hinter dieser präsentierten Fassade in Wirklichkeit brüchig und instabil. 

In seinen Werken thematisiert Schnitzler gerne die Enge der von der Gesellschaft vorgegebenen und künstlichen Normen – und die Ausweglosigkeit, die ein Individuum empfindet, wenn es gegen diese verstößt. In der Novelle Lieutnant Gustl, welche zudem im Kurs Littérature allemande von Madame Platelle behandelt wurde und der an dieser Stelle für ihren hochinteressanten und aufschlussreichen Unterricht gedankt werden mag, wird diese Problematik geradezu komisch dargestellt. Weniger gut geht es hingegen für Willi in der Novelle Spiel im Morgengrauen aus, worauf bereits der zweideutig zu lesende Titel hinweist.

Im Grunde genommen, möchte Willi bzw. Leutnant Wilhelm Kasda nur einem ehemaligen Dienstkameraden helfen, dessen Schulden zu begleichen und versucht infolgedessen bei seiner üblichen Kartenspielrunde die fehlenden 1000 Gulden zu gewinnen. Was ihm auch zweitweise gelingt – bis er die Kontrolle verliert und von seinem Rausch ergriffen, alles wieder verliert und er sich mit zusätzlich 11.000 Gulden Schulden bei einem seiner Spielteilnehmer wiederfindet. Nach dem militärischen Ehrenkodex der Zeit sind Spielschulden nicht verantwortbar und müssen innerhalb der nächsten 24 Stunden zurückerstattet werden, ansonsten droht eine Anzeige beim Regimentskommando. Die Folge wären die Aberkennung des militärischen Ranges, Ehrverlust und somit für die meisten damaligen Soldaten der komplette Existenzverlust. Auch Willi sieht sich nun mit diesem Problem konfrontiert, da er selbst die Mittel nicht aufbringen kann und weder Freunde, noch sein ehemals wohlhabender Onkel ihm helfen können. Die einzige Alternative ist wie bei Lieutnant Gustl der die Ehre wiederherstellende Selbstmord. Die Tragik der Geschichte Willis und die Verdrehtheit der Werte, die auf dem äußerlichen Schein beruhen und an denen Wilhelm letztendlich zerbricht, wird einem erst gen Ende des Buches richtig bewusst. Interessant wird die Handlung vor allem mit dem Auftritt einer Figur aus der Vergangenheit Wilhelms, Leopoldine. Die Frage zu beantworten, wie sich diese verschiedenen Handlungsstränge verbinden, um sich am Ende zu einem völlig unerwartetem Bild auflösen, überlasse ich dem potentiellen Leser selbst. Auch die Frage, inwieweit, verschleiert von den Intrigen, ebenso in Spiel im Morgengrauen die gesellschaftlichen Werte hinterfragt werden und deren hohler Charakter aufgezeigt wird, sollte in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden. 

Trotz der Tatsache, dass viele durch prägende Schulerlebnisse vielleicht nicht mehr sehr gut auf die kleinen gelben Reclam-Heftchen anzusprechen sind, so kann ich sowohl Lieutnant Gustl als auch Spiel im Morgengrauen sehr empfehlen. In Schnitzlers Werken kann man sehr viel über die damaligen zeitlichen Umstände lernen. Zugleich behalten sie aber stets einen aktuellen Bezug, denn die Beziehung Individuum-Gesellschaft und der damit verbundene Zwang ist und bleibt ein zentrales Element in vielen Untersuchungen. Und auch die fast mikroskopische Untersuchung der Entwicklung und der Veränderungen des Bewusstseins, der Schnitzler seine Protagonisten unterzieht, verliert heutzutage nie ihren spannenden und faszinierenden Charakter. 



Gesina Kann 

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